Das OLG Oldenburg hat mit Beschluss vom 09.07.2010 (Az: 2 SsRs 220/09) im Rahmen eines Rechtsbeschwerdeverfahrens die §§ 2 Abs. 3a S. 1, 2; 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO für verfassungswidrig erklärt. Die dort geregelte bußgeldbewehrte Winterbereifungspflicht sei zu unbestimmt und verstoße gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG. Für die Betroffenen sei nicht eindeutig erkennbar, welche Reifen als „ungeeignete Bereifung bei winterlichen Wetterverhältnissen“ anzusehen sind.
In dem der Entscheidung des OLG Oldenburg zugrunde liegenden Fall befuhr der betroffene Beschwerdeführer mit seinem Pkw im November 2008 mittags eine innerörtliche Straße und kam auf einer Eisfläche ins Rutschen. Er schlitterte in das Schaufenster eines an der Straße befindlichen Geschäftes. Sein Fahrzeug war mit Sommerreifen ausgestattet. Das Amtsgericht Osnabrück verurteilte ihn gemäß § 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO zu einer Geldbuße. Aus Sicht des Amtsgerichts hätte der Betroffene mit Winterreifen fahren müssen, weil sich auf der Straße Eis befunden habe. Das OLG Oldenburg hob diese Verurteilung auf. Der Ordnungswidrigkeitstatbestand in der StVO über die Pflicht zu einer den Wetterverhältnissen angepassten Bereifung sei in seiner konkreten Ausgestaltung zu unbestimmt und deshalb wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG verfassungswidrig. Das Tatbestandsmerkmal „der an die Wetterverhältnisse angepassten, geeigneten Bereifung“ nennt keine konkrete Bereifung für jeweils genau bezeichnete Wetterverhältnisse. Weder gesetzliche noch technische Vorschriften regeln, welche Eigenschaften Reifen für bestimmte Wetterverhältnisse haben müssen. Insofern sei für den Betroffenen nicht vorhersehbar, welches Verhalten vorliegend bußgeldbewehrt ist.
Das Urteil des OLG Oldenburg ist im Bußgeldbereich sehr interessant, da es besagt, dass bei winterlichen Straßenverhältnissen ohne konkrete Gefährdung keine Geldbuße wegen ungeeigneter Bereifung verhängt werden kann. Allerdings ist im Hinblick auf Verallgemeinerungen Vorsicht geboten. Erstens bindet die Entscheidung des OLG Oldenburg nicht zwingend andere Gerichte. Zweitens besagt die Entscheidung des OLG Oldenburg nichts über haftungs- und versicherungsrechtliche Folgen aus. Grundsätzlich wird nämlich durch die Entscheidung nicht in Frage gestellt, dass bei winterlichen Temperaturen, insbesondere aber bei Schnee und Eis, Winterreifen benutzt werden sollten, um Unfälle möglichst zu vermeiden. Das Fahren mit Sommerreifen im Winter birgt deshalb weiterhin ein erhebliches Haftungsrisiko, nämlich dann, wenn es zu einer konkreten Verkehrsgefährdung kommt. In diesem Fall besteht weiterhin die Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit.