Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in einem am 21.07.2011 verkündeten Urteil entschieden, dass es einen Verstoß gegen die Meinungsfreiheit darstellt, wenn ein Arbeitnehmer Missstände in einem Betrieb öffentlich macht und deswegen fristlos gekündigt wird (vgl. SZ vom 21.07.2011). Konkret ging es um eine Altenpflegerin, die ihren Arbeitgeber des Betruges beschuldigt hat, weil er aufgrund Personalmangels angeblich nicht in der Lage war, die Bewohner eines Pflegeheimes ordnungsgemäß zu betreuen. Der Altenpflegerin wurde darauf hin fristlos gekündigt. Anders als die deutschen Gerichte sah der EGMR in der Kündigung einen Verstoß gegen das Menschenrecht der Meinungsfreiheit.
Die Entscheidung des EGMR betrifft ein ganz heißes Thema: „Whistleblowing“. Es geht hierbei ganz allgemein um die Problematik der öffentlichen Verbreitung von Informationen wie beispielsweise über Missstände in einem Unternehmen. In arbeitsrechtlicher Hinsicht hat die Bundesregierung im Zuge der Lebensmittelskandale 2008 eine Änderung der Regelung in § 612 a BGB geplant und wollte eine klare und eindeutige Regelung zum Informationsschutz im Arbeitsrecht schaffen. Zu einem Gesetz ist es bis heute nicht gekommen.
Whistleblowing betrifft aber auch das Strafrecht. So wird gerade auch im Wirtschaftsstrafrecht kontrovers darüber diskutiert, ob die Stärkung der rechtlichen Stellung von Whistleblowern zur Eindämmung von Korruption und Wirtschaftskriminalität geeignet ist. Auch die öffentlich von der Polizeigewerkschaft ins Spiel gebrachte Idee, die Daten von entlassenen Straftätern ins Internet zu stellen, um hierdurch einen höheren Schutz zu gewährleisten, betrifft das Thema Whistleblowing. Gleiches gilt für Pläne der Finanzbehörden, Internetportale zu schaffen, in denen Bürger aufgefordert werden, Steuersünder anonym anzuzeigen und so beispielsweise Ihren Verdacht über den schon lange suspekten Nachbarn zu äußern. So nachvollziehbar die Entscheidung des EGMR im konkreten Fall auf den ersten Blick auch sein mag: Das Thema ist komplex und mit dieser Entscheidung sicher noch nicht am Ende. Und ist es nicht so, dass man bereits in der Schule die „Petze“ nicht gemocht hat?