Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem heutigen Urteil zur Vorratsdatenspeicherung die deutsche Regelung im Telekommunikationsgesetz (TKG) für verfassungswidrig und nichtig erklärt (Az.: 1 BvR 256/08 u.a.). Die anlasslose Speicherung von praktisch sämtlichen Verkehrsdaten von Telefondiensten für sechs Monate sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies allerdings nur auf der gegenwärtigen gesetzlichen Grundlage aus § 113a, b TKG und § 110 g StPO, da der Gesetzgeber dort seiner Verantwortung für die Begrenzung und Verwendungszwecke nicht nachgekommen und weit über die europarechtliche Zielsetzung hinausgegangen sei. Schlechthin unvereinbar mit dem Grundgesetz sei eine anlasslose Speicherung dagegen nicht.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist vor diesem Hintergrund ein Kompromiss. Einerseits sieht das Gericht die großen Gefahren der Vorratsdatenspeicherung wie beispielsweise die hierdurch mögliche Erstellung aussagekräftiger Persönlichkeits- und Bewegungsprofile. Die Vorratsdatenspeicherung sei deswegen ein schwerwiegender Eingriff in die Rechte der Bürger. Andererseits verbiete das Grundgesetz aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts eine Speicherung wie Sie in der europäischen Richtlinie 2006/24/EG vorgesehen sei aber nicht unter allen Umständen. Die Vorgaben in der Richtlinie, auf deren Umsetzung die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung zurückzuführen sind, beschränken sich im Wesentlichen auf die Speicherungspflicht und deren Umfang, regele aber nicht den Zugang zu den Daten oder deren Verwendung. Eingebunden in eine dem Eingriff adäquate gesetzliche Ausgestaltung könne die in der Richtlinie vorgesehene Vorratsdatenspeicherung deshalb den Verhältnismäßigkeitsanforderungen genügen.

Diese Sicht der Dinge hat für das Bundesverfassungsgericht den Vorteil, dass es sich nicht mit dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor deutschen Grundrechten beschäftigen muss. Damit muss das Gericht auch nicht die von Manchen erwartete Grundsatzentscheidung zu einer Neuordnung des Verhältnisses EG-Recht/Grundgesetz fällen, da die Wirksamkeit der Richtlinie 2006/24/EG aus Sicht des Gerichts nicht entscheidungserheblich ist. Unser Fazit ist vor diesem Hintergrund zwiegespalten. Zwar ist die Vorratsdatenspeicherung kurzfristig vom Tisch. Sie wird aber langfristig kommen. Man kann nämlich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch so lesen, dass die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich verfassungsgemäß ist.

Übrigens sollten sich Nutzer von Internettauschbörsen und Filesharing-Netzwerken im Hinblick auf eine Minimierung des Entdeckungsrisikos nicht allzu große Hoffnungen wegen dieses Urteils des Bundesverfassungsgerichts machen. Erstens gelten nach dem Bundesverfassungsgericht weniger strenge verfassungsrechtliche Maßstäbe bei der Abfrage bereits bekannter IP-Adressen, die regelmäßig zum Täter einer Urheberrechtsverletzung durch Filesharing führen. Zweitens bedient sich die Medienindustrie zur Verfolgung von Filesharer schon seit jeher anderer Daten als diejenigen, die Gegenstand des Urteils des Bundesverfassungsgerichts waren. Provider speichern nämlich regelmäßig zu abrechnungstechnischen Zwecken für eine Zeit von sieben Tage ebenfalls Daten, auf die Urheber nach Erwirken eines richterlichen Beschlusses zugreifen können.